Freitag, 2. November 2012

Ich bin ein Ghostwriter

In diesem Schuljahr habe ich meinen Stil der Hausübungsbetreuung verändert. Ich habe beschlossen, dass Hausübungen nicht länger als zwei Stunden dauern dürfen und das hat zur Konsequenz, dass es keine Zeit mehr gibt, am Bleistift zu kauen. Schluss mit den unerbittlichen Fragen: und was fällt dir dazu ein, und was möchtest du jetzt schreiben, und was denkst du noch? Nein, ich habe, ganz im Gegensatz zu meiner eigentlichen Einstellung, beschlossen, meinen Kindern notfalls einen Aufsatz Wort für Wort zu diktieren und zwar so lange, bis sie selbst begreifen, wie es funktioniert, was bitte bald der Fall sein möge. Da ich nicht sonderlich ausgefeilt auf die italienische Grammatik zurückgreife und meine Kinder, wenn schon nicht inspiriert, dann doch immerhin aufsässig sind, und ihre eigenen Gedanken auch einbringen, zeitigen diese Schreibsessions durchaus glaubwürdige Ergebnisse. Mit richtiger Zeichensetzung, wie die überraschte Frau Prof feststellt. Meine Kinder haben null Ahnung von Grammatik, tun sich mit Mathematik sehr schwer, aber sie lesen und schreiben.
Zwei außergewöhnliche Erfolge haben wir bereits eingeheimst. Beim ersten war die Aufgabe, einen Brief an die Großeltern zu schreiben. Da ich meine Kinder gut kenne, habe ich ihnen ein paar Worte in den Mund gelegt, die sie zu Papier gebracht haben. Die anderen Kinder sind nicht so unverschämt wie ich es meinen Kindern erlaube, sondern anders. Die schreiben aus dem Internet Grußformeln ab. Wir schreiben der Nonna, dass sie nicht immer insistieren soll beim Essen, weil ihre Portionen ohnehin für eine Militärkompanie sind und dass sie den Kindern keine 5 Euro mehr geben soll, weil sie ohnehin kein Geld hat. Im Gegenzug für diese kleinen Frechheiten sind wir bereit, alles für die Nonna zu tun. Danke, Brief wird von der Lehrerin auf die Gemeinde gebracht, als Beispiel profunden Ausdrucks. Hoffentlich gewinnen die Kinder den 1. Preis im Oma-Brief-Wettbewerb und der Herr Bürgermeister klopft ihnen auf die Schultern.
Zweiter Erfolg ist ähnlich geartet. Meine Kinder verstehen die Aufgabe nicht, es geht um Beobachtungen zu einem Gedicht. Das ist mein Ding. Wenn ich sonst nichts kann - gebt mir ein Gedicht und ich werde es interpretieren, es zerlegen, alles damit machen und wenn mich keiner aufhält auch jahrelang. Ich klopfe mir auf die Brust: "ICH würde das so schreiben." "Ja, das ist schön", sagt der Fußballer müde. Er knallt die Faust auf den Tisch und schaut mich erwartungsvoll an. Diktiere. Nein, so einfach ist es nicht. Was gefällt dir am besten an diesem Gedicht? Schreib. Der Fußballer weiß nicht, wie ihm geschieht. Plötzlich schreibt er etwas über sich.
Der große Sohn, den ich schon fast auf sein Zimmer schicke, weil er gar so schlecht gelaunt an diese Hausübung herangeht, wird nach zwei ihm sehr dringend nahegelegeten Sätzen und ein paar direkten Fragen auf eine Art entfesselt und schreibt Dinge aus seinem Leben, die sein Vater dann zensiert. Mist. Wir versuchen es noch mal, harmloser. Schließlich muss das Werk vorgelesen werden und wir wollen auch nicht, dass die anderen Kinder dann beim Mittagstisch ihren Eltern aus unserem Leben erzählen.
Was geschrieben wird, genügt, um in den schriftstellerischen Himmel aufgenommen zu werden.
Der große Sohn und sein Bruder waren die einzigen, die die Hausübung richtig verstanden haben, stellt sich am nächsten Tag heraus. Der große Sohn ist sehr enthusiastisch. "Ich habe also recht gehabt." Sagt er.

Nein, ich bin keine gute Muse. Das heißt, ich bin eine gute Muse. Aber ich habe nicht das Zeug zur Muse, ich möchte bitte auch gelobt werden. Für den Moment gebe ich mich mit guter Stimmung und potenziell positivem Herangehen an die nächsten Hausübungen zufrieden.

Freitag, 5. Oktober 2012

Fernsehen statt lesen

Wo man singt, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Lieder. Haben wir uns ins Stammbuch geschrieben, anno dazumal.
Kann man sagen: wo man liest, da lass dich nieder, böse Menschen haben keine Bücher? Ich weiß nicht, ich sehe überall nur Fernseher. Sind das alles böse Menschen? Dumme Menschen? Ich lese seit ein paar Tagen nichts. Ich habe "Tschick" von Wolfgang Herrndorf fertig gelesen und da das nicht zu toppen ist, habe ich ein paar Tage allein verbracht. Vor dem Fernseher. Wir haben einen Gast in unserem Schlafzimmer und schlafen auf dem Sofa. Vor dem Fernseher. Jetzt habe ich eine neue Leidenschaft, die ich hier immer freitags ausleben kann, sie heißt Person of Interest und ist eine amerikanische (Science-Fiction-Crime) Serie. Ausgangspunkt ist die Sozialversicherungsnummer einer Person, welche ein Computer im Besitz eines philantropen (weil Millionär) Nerds ist. Diese Person in New York muss gesucht werden, da sie entweder ein Verbrechen begehen wird, oder Opfer eines Verbrechens sein wird.

Der Mann, der diese Menschen sucht ,ist der schönste und eleganteste Mann, den ich seit Jahren auf einem Fernsehschirm gesehen habe. Er schaut die Menschen an, mit einem Blick, den ich auch gerne hätte. Wahrscheinlich ist das Empathie. Abgesehen davon hätte ich gerne, dass er mich auch so anschaut. Und manchmal schlägt er zu, im richtigen Moment und gegen die richtig Bösen. Er ist nämlich nicht nur im richtigen Maß elegant sondern auch im richtigen Maß sportlich.
Ich schaue also auf Wikipedia nach, was mein neuer Schwarm sonst noch macht und ich bekomme denselben Schock, zumindest fast, den ich bekommen habe, als ich von Clint Eastwood und seiner Wahlwerbung für Romney gehört habe. Mein Idol ist erzkatholisch und wirbt auch für einen Republikaner. Vielleicht liegt in seinem Blick der Gedanke an Jesus, permanent? Den Jesus hat er auch verkörpert, im Film von Mel Gibson.

Es kann mir egal sein, ich will ihn ja nicht heiraten. Aber wie ich den Clint Eastwood nicht mehr anschauen kann, befürchte ich, dass das alter ego meines Filmhelden mir meine neue Lieblingsserie vergällt. Ich werde doch wieder zu lesen beginnen. Und ich denke an die großartige Figur des "Tschick", von dem man sich auch gerne begleiten ließe und ich denke, es ist gut, dass hinter literarischen Figuren keine Schauspieler stecken, von denen man enttäuscht  werden kann.

Freitag, 13. Juli 2012

rainy days

Die Regentage nach den ereignisreichen Tagen sind anstrengend.
"Those were days of roses
poetry and prose
and Martha all I had was you and all you had was me.
There was no tomorrow,
we packed away our sorrow and we saved it for the rainy days."
So oder so ähnlich singt Tom Waits.
Für mich werden die Tage erst gut, besser gesagt, es wird gut in den Tagen, wenn gelesen worden ist. Und manchmal dauert es, bis ich das Abendessen zubereite. Für meinen wilden großen Sohn scheint es ähnlich zu sein. Schon vor dem Mittagessen kommt er: "Kann ich dir vorlesen?" "Nein, das Essen ist fertig.". Am Nachmittag versucht er es noch einmal: "Kann ich dir vorlesen, nur ein bisschen?". "Nein, wir gehen jetzt raus." Am Abend ist es endlich soweit. "Ich habe schon ein bisschen gelesen." sagt er, bevor er endlich dran ist. Vor fünf Jahren hat er gesagt, er wird es nie schaffen, zu lesen.

Montag, 9. Juli 2012

business as usual

Ein normaler Tag in den 13 und mehr Wochen dauernden Ferien ist tägliches Vorlesen (mir). Der Rallyefahrer liest ein spannendes Jugendbuch über einen Wunderwuzziknaben, der mit einem japanischen Abenteuergefährten von einer außergewöhnlichen Welle von einem Korallenriff gespült wird.

Der große Sohn  liest seit ewigen Zeiten "Il Corsaro nero" von Emilio Salgari, einem der bedeutendsten Jugendautoren Italiens, der Karl May Italiens, der hat auch sein Zuhause nie verlassen, dabei sind wir gerade zwischen Mexiko und Honduras unterwegs. Und gelebt hat er auch etwa vor einem Jahrhundert, Eben 1911 hat er harakiri begangen, echt, das hat er wahrscheinlich wo gelesen. Geschriben hat er den schwrazen Korsar in Genua, ich glaube, dort sollte ich auch hin fahren und gelebt hat er in Turin was mich sehr darin bestätigt, Turin für die Stadt des Buches und der Leser schlechthin zu halten. Aber auch in Kalabrien hat es Schriftsteller gegeben, Corrado Alvaro zum Beispiel, mit dem ich mich nach meiner Rückkehr befassen werde. Der Sohn und ich haben noch etwa 40 Seiten zu bewältigen und ich frage mich, was wir dann tun werden, was er dann tun wird. Letztes Jahr hat er den "Tiger von Mompracem" gelesen, den Sandokan, der ja auch eine Tv-Serie geworden ist, deren Titelmelodie bei der kleinsten Erwähnung in meinem Gehirn zu schmettern beginnt. Bitte was machen wir ohne den Schwarzen Korsar, den supertoughen guy mit seinen Filibustieri-Jungs, darunter ein Schwarzer, liebevoll Kohlensack genannt? Das Buch hat er übrigens selbst ausgesucht und zwar auf unserer Reise in die große Stadt im letzten Jahr in der Buchhandlung in Roma Termini. Da sieht man, dass wir die über 500 Seiten im letzten Schuljahr nicht bewältigen konnten, da war so ein Stress und so ein dickes "Anthologie" genanntes Lesebuch.

Das Kind hat sich in der Bücherei in der italienischen Abteilung die schönsten Märchen ausgeborgt und hat Abstand von seinem Tanzbuch genommen, in dem es um Modern Dance geht. Ich verstehe ihn, im modernen Buch kennt man sich nicht aus, wenn man nicht täglichen TV-Konsum gewohnt ist, bei dem viele Personen vorkommen, bei dem Märchen "Der gelbe Zwerg" hingegen verstehen wir alles und das Kind liest alle 15 Seiten, obwohl es anfangs sehr skeptisch ist. Angeblich brauchen Kinder Märchen, aber ich weiß nicht, ob all diese Feen und Prinzessinnen dem Kind wirklich gut tun. Am Nachmittag will er der Oma und mir einen goldenen Wagen zaubern, weil wir nämlich älter werdende Menschen sind. Meine Mutter freut das.

Gestern habe ich eine website gefunden in der man schreiben kann, wieviele Bücher man auf dem Weg zu seiner Wunschanzahl bereits gelesen hat, aber dam Amy 0 von 70 Büchern, Steve 0 von 12 Büchern und Kate 1 von 150 Büchern gelesen hat, wende ich mich erschauernd vom Internet ab und beklage dessen Unendlichkeit. Auf meinem Nachtkästchen liegt auch noch immer "Blind Assassin" von Margaret Atwood. Das hat auch über 500 Seiten und ich sollte vielleicht einen Wettlauf mit dem Sohn und seinem Schwarzen Korsar beginnen. Außerdem habe ich einen Verdacht: Die junge Frau im Buch im Buch "Bind Assassin" ist vielleicht gar nicht Laura, sondern Iris selbst. Gleich weiterlesen.

Sonntag, 8. Juli 2012

sich eingraben

In diesem Sommer sollen wir Besuch bekommen, eines der besuchenden Kinder ist sehr anstrengend. Der Rallyefahrer stellt in trockener Verzweiflung fest: "Oh nein, ich schaufle mir ein Grab und nehme mir ein Buch mit." Ich schaue ihn freundlich an und wische mir den Mund mit der Serviette ab. Ich sage nichts, aber noch Wochen später könnte ich singen, tanzen und springen vor Freude: Er nimmt sich kein Nintendo, keinen Computer, keine Playstation, keine Wii in sein Grab, sondern ein Buch. Ich habe gewonnen. Das ist mein erster Sieg im Langstreckenlauf zum Ziel: Alles was ich meinen Kindern beibringen kann, ist zu lesen. Wer lesen kann, wird überleben.